Nichts anderes sind wir: Ein stecknadelgrosses Pünktchen im planetaren Heuhaufen, wie ich kürzlich wieder realisieren durfte. Anlass dazu gab mein Liebster. Der spinnt völlig auf dieses Weltallzeugs, verehrt Hawking und feiert Musk – beide wie Rockstars, gleich nach Jimmy, Jim und Janis.
Du hörst es schon: Mein Schatz und ich teilen zwar vieles, aber längst nicht alles. Deshalb wechseln wir uns jetzt bei der Wochenendplanung ab. Erst noch schleipfte ich ihn ins Museum, nun war er an der Reihe – und wählte das Planetarium. «Go Stärnli luege?», quittierte ich skeptisch. «UNBEDINGT!», fand er – also zogen wir los.
Zwei Stunden und eine Premiere später war ich gleicher Meinung: Das Planetarium flasht – und zwar voll! Entspannt zurückgelehnt unter der gewölbten Leinwand unser Sonnensystem zu bereisen: Das hat schon was Geiles.
Ich staunte über die gewaltigen Täler und Vulkane des Mars, die Wolkenwirbel des Jupiters, die unzähligen Ringe des Saturns oder die eisige Welt des Plutos. Ich genoss jede einzelne Aufnahme von unbemannten Raumsonden, die uns jetzt schon zeigen, was die Raumfahrer der Zukunft sehen werden. Die Bilder waren nicht nur wunderschön anzusehen, sie hinterliessen auch einen bleibenden Eindruck.
Zwei Dinge wurden mir im Planetarium bewusst: Dass wir Nichts sind im Vergleich zu all dem, was es dort draussen alles gibt. Und: Dass es reiner Zufall ist, dass es uns Menschen überhaupt gibt.
«Unser Glück ist», verdeutlicht mein Liebster beim Kafi danach, «dass die Erde im perfekten Abstand zur Sonne steht. Verglühen oder verfrieren könnten wir überall, existieren nur hier. Hier, wo Wasser fliesst, vermutlich dank Eis-Kometen, die auf der Erde einschlugen und es so zu uns brachten. All das war pures Glück – und ein Fehler ebenso.»
Ich horche auf: «Ein Fehler?» Mein Liebster nickt und meint: «Zumindest sagt das Stephen Hawking.» Er zückt sein Handy und zeigt mir das folgende Video. Darin erklärt der britische Astrophysiker in gerade mal fünf Minuten die Evolution – und weshalb sie ein Fehler erst möglich machte.
Zusammengefasst sagt Hawking, einer der brillantesten Köpfe unserer Zeit: Nach dem Urknall habe das Universum erst mal aus Gas bestanden. Reinem Gas, das sich «almost perfectly» über das ganze Weltall hinweg verteilte. Aber eben nur «almost», zu unserem Glück: Über 200 Millionen Jahre hinweg zog die Gravitation das Gas «back together» und schuf so die allerersten Strukturen, woraus alles andere erst entstehen konnte – ca. vier Milliarden (!) Jahre später auch der Mensch.
Wie und warum überhaupt Leben in die Bude kam veranschaulicht Hawking in Cambridge, im Esssaal seiner Uni. Dort lässt er unzählige Kugeln, das Gas symbolisierend, übers Parkett rollen. Schliesslich bleiben sie stehen, aufgrund ihrer Anziehungskraft, die gegenseitig wirkt. So liegen sie da, perfekt angeordnet, im immer gleichen Abstand zueinander – und nichts passiert.
Erst durch eine kleine Unregelmässigkeit im System kommt Bewegung in die Sache: Kaum werden fünf der Abertausend Kugeln entfernt, formieren sich die Kräfte neu. Die Gravitation wirkt nun anders auf die Nachbarn der fehlenden Kugeln ein, was sich wiederum auf deren Nachbar-Kugeln auswirkt, was sich wiederum auf deren Nachbarn-Kugeln auswirkt...
Das Resultat: Die Kugeln kommen ins Rollen und verdichten sich an einigen Orten immer mehr. Und bäm: Es entsteht Materie, später Leben und irgendwann auch der Homo Sapiens, wie so viele andere Spezien, die Mutter Erde schon bevölkerten.
Mich fasziniert dieses eindrückliche Video aus zweierlei Gründen: Weil es mich enttäuscht und befreit.
Ent-täuschen meine ich im positiven Sinne: Ich mache mir nicht länger vor, das Zentrum des Universums zu sein. «Ohne MICH geht nichts»: Nicht selten habe ich dieses Gefühl, das schlichtweg nicht wahr ist. Versteh mich nicht falsch, ich will mich nicht drücken: Natürlich wirkt sich mein Verhalten auf mein direktes Umfeld aus. Das grosse Ganze aber folgt definitiv seinem eigenen Plan – da kann ich tun und lassen was ich will.
Und ja, das befreit mich ungemein: Zu wissen, dass wir alle (nur) Teil eines Ganzen sind. Kugeln in einem grossen Esssaal, die einander anziehen und abstossen. Wo Kräfte wirken, die sehr viel grösser sind als mein Wille, etwas geschehen zu lassen oder eben auch nicht.
Seien wir ehrlich: Dafür, einen grossen Unterschied zu machen, sind wir schlichtweg zu klein. Eine Ameise auf unserer Erde. Ein Atom in unserem Sonnensystem. Ein Nichts in unserer Galaxie, von denen es MILLIARDEN weitere gibt...
Das Schönste an dieser Erkenntnis ist: Wir alle sind Teil eines Systems, das nicht nur sehr viel grösser ist, als wir uns je vorstellen könnten, sondern auch noch dem geschuldet, wovor wir uns am meisten fürchten: Einem Fehler.
Erst durch eine Unregelmässigkeit, durch Imperfektion, wird überhaupt etwas möglich, wie das Video eindrücklich zeigt: Kugeln kollidieren mit anderen, wirken aufeinander ein und verklumpen sich zu etwas Handfestem, das andernfalls nie entstanden wäre. Ohne Fehler kein Fortschritt.
Heisst im Umkehrschluss: Perfektion ist Stillstand – und deshalb kaum erstrebenswert.
Geben wirs doch zu: Das, wonach wir im Grunde alle streben, ist irgendwann perfekt zu sein. Den perfekten Körper zu haben. Das perfekte Leben, mit perfekten Tagen und Menschen, die perfekt zu uns passen. Ist das wirklich, was wir uns wünschen? Ich glaube nicht, denn:
Wären wir so perfekt und fehlerlos, wie wir es uns oft wünschen: Was gäbe es dann noch zu tun?
Wären wir wirklich «ganz» und liefe alles «rund»: Wen oder was würden wir dann noch wollen?
Wohin sollte es uns noch ziehen, wenn wir die perfekte Balance gefunden haben?
Von wem sollten wir uns angezogen fühlen, wenn wir reglos in unserer Mitte ruhen?
Eben. Wären wir perfekt, passierte schlichtweg nichts.
Stillstand?
Ist so gar nicht mein Ding – und deins wahrscheinlich auch nicht. Wir geniessen es, bewegt und berührt zu werden. Wir wollen keine perfekte Kugel sein in einem perfekten System, die perfekt ausbalanciert in ihrer Mitte ruht. Viel lieber mögen wir Flipperkästen: Rasante Action, Höhen- und Tiefflüge, Kollisionen und Crashs.
Leben, nicht funktionieren, will ich, mit allem Drum und Dran. Das wurde mir im Planetarium bewusst. Statt souverän zu sein und alles im Griff zu haben, will ich Fehler machen. Immer und immer wieder und mich gebührend feiern dabei – in grosser Dankbarkeit und im Wissen, dass es mich ohne Fehler gar nicht gäbe.
Und wenn es mir mal nicht gelingt, ganz gechilled zu sein und völlig «in love» mit allem, was gerade nicht perfekt ist? Dann schau ich obiges Video und mache mir bewusst, was ich eigentlich bin: Ein kosmischer Muggefurz. Nicht mehr und nicht weniger.